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Atypische Weidemyopathie

Atypische Weidemyopathie – für Pferde giftiger Berg-Ahorn

Atypische Weidemyopathie ist eine fast immer tödlich verlaufende Krankheit bei Pferden, die auch der plötzliche Weidetod genannt wird. Ursache ist eine Vergiftung mit dem Toxin Hypoglycin A, das in den Samen und Sämlingen des Berg-Ahorns vorkommt.

Was ist atypische Weidemyopathie?

 

„Wegen der atypischen Weidemyopathie“ erklärt Roberta, während ich staunend auf die frisch gesägten Baumstümpfe starre. Bei meinem letzten Besuch ragten an ihrer statt noch mächtige Ahornbäume stolz in die Luft. Roberta, die studierte Tierärztin, ist vor kurzem mit ihrem Mann Paul von der Großstadt aufs Land gezogen, um ihre drei Pferde am Haus zu halten. Eigentlich ist das mein Thema, wegen dem ich hier bin, doch nun bin ich abgelenkt: „Was ist atypische Weidemyopathie?“ frage ich. „Komm mit“ sagt sie nur, „das erzähle ich dir bei einem Kaffee“ und zieht mich ins Haus.

Wir lassen die dreckigen Gummistiefel im Flur und machen es uns auf dem Sofa gemütlich. Roberta beginnt gleich zu dozieren. Nachdem ich alle Fachbegriffe nachgeschlagen und das Thema noch einmal recherchiert habe, kann ich es wie folgt zusammenfassen und gerne an andere weitergeben, die, wie ich, bis jetzt noch nichts von atypischer Weidemyopathie gehört haben.

[Den Artikel zu Roberta und Paul, die aus der Großstadt aufs Land gezogen sind, um ihren Traum von Wohnen mit Pferden zu verwirklichen , findest du hier.]

Atypische Weidemyopathie

Welche Ahorn Sorten und Teile sind giftig?

Bisher wurden nur Erkrankungen im Zusammenhang mit dem europäischen Bergahorn (Acer pseudoplantanus) und dem in den USA verbreiteten Eschenahorn (Acer negundo) festgestellt. Auch andere Ahornsorten können Hypoglycin A produzieren, wie zum Beispiel der Fächerahorn (Acer palmatum), der Vermont-Ahorn (Acer spicatum) und der Zucker-Ahorn (Acer saccharum). Diese Sorten kommen aber nur selten mit Pferden in Berührung, weil sie eher in Gärten und Parks stehen und nicht auf Pferdeweiden.

Wissenschaftler der Universität Utrecht in den Niederlanden wollten genau wissen, welche Ahorn-Sorten giftig sind. Sie fanden 2016 heraus, dass Spitzahorn und Feldahorn harmlos sind, weil sie das Gift nicht enthalten. Der bei uns heimische Bergahorn dagegen produziert das Hypoglycin A sowohl in seinen Samen als auch in seinen Sprößlingen.

Die Dosis macht es

Wissenschaftler gehen davon aus, dass etwa 26,5 mg Hypoglycin A benötigt werden, um bei einem 500 Kilo schweren Pferd eine Vergiftungserscheinung auszulösen. Da die Giftkonzentration in den Samen des Bergahorns sehr stark variiert, muss ein Pferd zwischen 32 und 9000 Samen fressen um zu erkranken. Hinzu kommt, dass jedes Pferd unterschiedlich stark auf eine Vergiftung reagiert.

Einfach Ausrotten kann man den Bergahorn aber nicht, weil er zu den wichtigsten europäischen Edelhölzern zählt, dessen Holz gerne von der Möbelindustrie und im Instrumentenbau verwendet wird. Wegen seines schönen Wuchses und der prächtigen Herbstfärbung wird er auch gerne zur Zierde gepflanzt.

Eventuell wird sogar Wasser kontaminiert

So ganz ist das Thema aber noch nicht erforscht. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass die Bäume ihre Umgebung kontaminieren und das Gras, auf dem die Samen und Blätter liegen oder auch Gewässer, in die Pflanzenteile hineinfallen, Gifte enthalten. Wie hoch die Konzentration des Giftes dann ist, wäre allerdings fraglich.

Atypische Weidemyopathie
Hier kann man nur auf Instinkte hoffen - Pferde beim Fressen, von Berg-Ahorn-Samen umgeben.

Welche Pferde sind betroffen?

Im Zeitraum von Herbst 2006 und Anfang 2015 wurden in 20 europäischen Ländern insgesamt 1600 Fälle gemeldet. Allerdings ist die Krankheit auch in den USA, Australien und Neuseeland bekannt. Allein 2014 wurden weltweit 413 Fälle registriert, die Dunkelziffer liegt aber wahrscheinlich höher.

Besonders betroffen sind junge, wohlgenährte Pferde, die auf feuchten, abgegrasten und ungepflegten Weiden stehen. Dabei erkrankt nicht unbedingt jedes Pferd einer Herde und es gibt auch welche, die symptomfrei bleiben, obwohl das Hypoglycin A in ihren Körpern nachgewiesen wurde. Allerdings war die Konzentration deutlich geringer als bei erkrankten Tieren.

Laut einer 2015 veröffentlichten Publikation kann es sogar Pferde geben, die aufgrund eines besonderen Stoffwechsels immun gegen atypische Weidemyopathie sind. Erst nach längerem Frost verliert das Gift seine tödliche Wirkung – warum, weiß man noch nicht.

Berg-Ahorn Samen

Krankheitsverlauf bei atypischer Weidemyopathie

Pferde auf überweideten Wiesen sind darauf angewiesen, durch die Verbrennung ihres Körperfettes Energie zu gewinnen. Bricht der Fettstoffwechsel durch die Aufnahme von Hypoglycin A zusammen, werden die Haltemuskeln sowie die Herz- und Lungenmuskulatur nicht mehr mit Energie versorgt und können nicht arbeiten. Mattigkeit, Atemnot und ein erhöhter Puls sind die Folge.

Im weiteren Verlauf beginnen die Muskeln zu zittern und der Gang wird schwankend. Das Pferd stürzt und liegt fest. Es versucht, noch im Liegen zu fressen, doch die Kaumuskulatur versagt. Die Schleimhäute sind blass. Das kranke Tier schwitzt und zeigt Kolikanzeichen. Die Körpertemperatur sinkt unter das normale Maß und der Urin färbt sich dunkel.

Ob das Pferd noch zu retten ist hängst stark von der aufgenommenen Menge des Giftes ab. Bei schnell eingreifender medizinischer Versorgung hat das Tier noch eine Chance, sind die Symptome bereits ausgeprägt, kommt meist jede Hilfe zu spät und das Tier verendet.

Atypische Weidemyopathie

Erste Hilfe bei Anzeichen von atypischer Weidemyopathie

Stellt man erste Anzeichen der Krankheit bei einem Pferd fest, sollte man davon ausgehen, dass die ganze Herde das Hypoglycin A aufgenommen hat und möglicherweise erkrankt.

  • Zu allererst ruft man einen Tierarzt, um das Pferd mit den Symptomen zu behandeln.
  • Das erkrankte Tier unbedingt warm halten – zum Beispiel durch eine Decke
  • Dann bringt man alle Pferde runter von der Weide – die jüngsten zuerst – und stallt sie für 5 Tage zur Beobachtung auf.
  • Dabei sollten sie möglichst fettfrei und mit Zusatz von Vitaminen und Mineralien gefüttert werden.
  • Urinfarbe kontrollieren.
  • Sobald ein Pferd matt wirkt oder sonstige Anzeichen der Krankheit zeigt, sollte es in die nächste Klinik gefahren werden.
Atypische Weidemyopathie
Um atypische Weidemyopathie vorzubeugen wurden diese Ahorn-Bäume gefällt.

Wie kann man vorbeugen?

Mit bedachtem Weidemanagement kann man einer Erkrankung gut vorbeugen:

Bäume entfernen

Auf Nummer sicher geht, wer alle Berg-Ahorne auf seinen Weiden und auch im näheren Umfeld entfernt. Insofern hat Becci vorausschauend gehandelt. Bedenke, dass der Samen 100 Meter hoch und etwa dreimal so weit fliegt, wie der Baum groß ist. Das Fällen sämtlicher Bäume ist aber oft nicht möglich.

Ausreichend zufüttern

Darum Pferde in den Risikozeiten immer zufüttern. Auf abgeweideten Wiesen im Herbst oder im Frühling, wenn noch nichts wächst, brauchen die Pferde auf der Weide genügend Rauhfutter, damit sie nicht aus Langeweile oder gar Not die giftigen Pflanzenteile fressen. Die meisten Pferde haben genug Instinkt und fressen keine giftigen Pflanzen – es sei denn, sie sind sehr hungrig.

Gefahrenzonen abtrennen

Wenn möglich, Gefahrenzonen abtrennen oder die Pferde auf eine bergahornfreie Weide bringen. Den Pferden täglich frisches Wasser anbieten und sie nicht aus möglicherweise kontaminierten Teichen oder Bächen trinken lassen. Hypoglycin A ist wasserlöslich!

Auf gute Nährstoffversorgung achten

Vitamine und Mineralien zufüttern und einen Salzleckstein zur Verfügung stellen. Je besser das Pferd mit allen wichtigen Spurenelementen und Vitaminen versorgt ist, desto besser kann es im Falle einer Vergiftung damit klarkommen – die Überlebenschancen steigen.

Tägliche Kontrolle

Mehrmals täglich den Bestand kontrollieren, dabei auf erste Anzeichen von Atypischer Weidemyopathie achten wie Mattigkeit, Kolikanzeichen, Schwitzen, Gang-Anomalien, Zittern.

Vergleich: Links ein Berg-Ahorn Blatt, rechts ein Spitz-Ahorn Blatt

Woran erkennt man Berg-Ahorn?

Der Berg-Ahorn ist ein stattlicher Baum, der bis zu 30 Meter hoch werden kann. Er kann 400 Jahre alt werden und dabei einen Stammumfang von bis zu zwei Metern erreichen. Am besten erkennt man ihn an seinen drei- bis fünflappigen Blättern, deren Ränder gezackt sind wie ein Sägeblatt. Beim Spitz-Ahorn dagegen sind die Ränder glatt und die Enden der Lappen laufen spitz ausgezogen aus. Die Samen des Berg-Ahorn sind flügelartig und am Kern miteinander verbunden.

Auf dieser Seite erfährst du noch mehr über den Berg-Ahorn und wie man ihn erkennt.

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